Leseprobe "Unvergesslich"

Kapitel  1


Sterne sind Signale aus dem Himmel,
die uns den Weg nach Hause zeigen.


O nein. Heute beginnt das Grauen.
            Als ich die Augen öffne, scheint mir die Sonne mitten ins Gesicht. Wie glitzernde Diamanten tanzen die Sonnenstrahlen in meinen Augen. Keine Wolke am Firmament, die sich wie ein Schleier über den blauen Himmel ziehen könnte. Würde ich mich draußen auf das Gras legen, es würde sich anfühlen, als würde ich auf den endlosen Ozean schauen. Weder der Straßenlärm, noch der stinkende Freund meiner Mutter, der gerade aus dem Bad kommt, könnten diesen Moment verderben. Den letzten Morgen, den allerletzten Morgen, bevor der größte Albtraum meines Lebens beginnt.

Es ist Freitag. Für den heutigen Tag bedeutet das, Zeugnisausgabe und Abschlussfest der zehnten Klassen, denn heute ist der letzte Tag vor den Sommerferien. Es ist schon 6:30 Uhr und ich bin immer noch nicht aufgestanden. Viel zu müde zum aufstehen, obwohl heute so schönes Wetter  ist. Ist eigentlich auch kein Wunder, denn wie soll ich schlafen, wenn ich die ganzen Nacht nur an heute, morgen und die nächsten drei Monate denken muss, die ich ganz allein irgendwo auf einer Insel im Mittelmeer verbringen soll. Ich verstehe nicht warum ich nicht hier bleiben kann. Ich bin sechzehn, kein kleines Kind mehr. Ich kann ganz gut auf mich selber aufpassen. Aber NEIN, meine Mutter schiebt mich ganz einfach zu meinem Vater ab. Ich meine, es ist ja nicht nur ihre Schuld. Die eigentliche Schuld trägt Franky, der neue Freund meiner Mutter. Franky, oder besser gesagt Frank Neubert, ist nämlich in einer Band, und diese Band geht auf Tour. Meine Mutter würde alles für ihn tun, deshalb fährt sie auch mit. Ich weiß nicht was sie an ihm findet, wenn ich nur an sein fettiges, blondes Haar denke, dass immer zurück gegelt ist und an seine Wampe, die eher einem Gymnastikball gleicht, als einem menschliches Körperteil. Schon bei diesem Gedanken kommt es mir hoch. Und wenn er nicht gerade eines seiner MEGA-WICHTIGEN Konzerte hat, hängt er mit seinen ekelhaften Freunden, bei uns zu Hause ab, trinkt Bier und guckt Fernsehen. Er ist ein elender Stinkstiefel und wenn er eines nicht leiden kann, dann sind es Kinder. Vor allem solche wie ich, die nicht auf ihn reinfallen und sein dämliches Gelaber über die Wichtigkeit seiner selbst, unweigerlich lächerlich finden. Wegen ihm muss ich nach Griechenland zu meinem Vater. Ich hab ja nichts gegen Griechenland, es ist ein wunderbares Land und ich hab ja selber einige Jahre da gelebt. Ich kann den Gedanken nicht ertragen da hin zu fahren, weil mein Vater wieder geheiratet hat. Seine Frau ist ja noch ganz okay, im Gegensatz zu ihrer Tochter. Sie ist der eigentliche Schrecken, dieser nächsten drei Monate. Sie fängt ständig Streit mit mir an, über Themen die total belanglos sind. Das Problem das sie wahrscheinlich mit mir hat ist, dass wenn ich da bin, ich im Rampenlicht meines Vaters stehe und nicht sie, die allzu perfekte Stieftochter. Sie mit ihren wasserstoffblonden Haaren, den perfekt manikürten und pedikürten Nägeln, den millimetergenau gezupften Augenbrauen und dem perlweißen Lacklächeln. Außerdem hat sie eine Angewohnheit und die nennt sich Arroganz oder man könnte es auch Unerträglichkeit nennen, wenn man es genau nimmt. Denn sie ist es voll und ganz - unerträglich! In mancher Hinsicht erinnert sie mich ein bisschen an Franky. Sie hält sich für cool, versucht hübsch auszusehen und sie kann mich genauso wenig leiden. Ich habe nicht den leisesten Schimmer wie ich es drei Monate, mit ihr in einem Haus aushalten soll, ohne dass wir uns gegenseitig umbringen.

Mein viel zu großer Kleiderschrank, den mir meine Mutter gekauft hatte, nach dem wir in die größere Wohnung, nach Mitte gezogen waren, ist fast leer. Der Umzug war sinnlos, denn es sind immer noch dieselbe Stadt, dieselbe Schule und dieselben Leute. Aber da nun auch Franky bei uns wohnte, brauchten wir definitiv mehr Platz. Was in der Hinsicht gut ist, dass ich ihm besser aus dem Weg gehen kann. In meinem Schrank liegen nur noch die Sachen für heute. Der Rest ist fein säuberlich in drei Koffer gestapelt. Nicht nur mein Schrank ist leer, mein ganzes Zimmer sieht ordentlich aus. Wo sich sonst Klamotten, Bücher und CDs stapeln, sieht man jetzt wieder den Fußboden. Die Regale sind vollgestopft, mit allem was ich in, über den Daumen gepeilt, 2500 Kilometern Entfernung nicht brauchen werde. Wenn ich heute das Haus verlasse, werde ich meine Mom, Franky (was nicht mal schlecht ist) und dieses Zimmer, für die nächsten drei Monate nicht wieder sehen. Ich werde dann von einem Taxi zum Flughafen gefahren und meine Koffer werden schon da sein. Meine Mutter hat das alles schon perfekt geplant. Und mein Vater meint, so ist es einfacher. Meine Mutter ist arbeiten und er muss ihr nicht über den Weg laufen. Sie haben kein gutes Verhältnis mehr zueinander. Dafür hätte Franky mich fahren können. Ich frage mich, wie wohl die Begegnung zwischen  ihm und meinem Vater ablaufen würde. Franky ist normalerweise der Typ, der gerne angibt, aber Dad ist genau das was er sein will - reich und unabhängig. Wahrscheinlich würde Franky meinem Dad ziemlich klein laut kommen, oder vielleicht überheblich? Nein, das glaube ich nicht, dafür ist er ein viel zu großer Schisser. Vielleicht würde er sich ja verstecken oder seinen fetten Arsch mal aus der Wohnung schaffen, um die Begegnung zu vermeiden.
Ich gehe in die Küche, nehme mir eine Schale und mach sie bis zum Rand voll mit Cornflakes. Ich esse gleich im Stehen, denn ich bin schon ziemlich spät dran. Ich schlinge alles so schnell wie möglich runter und stelle die Schüssel gerade in die Spüle, als meine Mutter rein kommt. Sie sagt gar nichts, nimmt mich einfach nur in den Arm.
Nach einer Weile fragt sie: »Du bist doch nicht zu sauer auf mich, oder?«
»Nein Mom, nur ein kleines bisschen. Aber wenn ich den Sommer bei Dad und Valéria nicht überlebe, bist du daran schuld!«, sage ich und lächle dabei.
»So schlimm wird es schon nicht werden. Du darfst bloß nicht immer so voreingenommen sein, mein Schatz.«
»Mom, ich bin nicht voreingenommen, ich bin nur realistisch.«
»Du wirst das schon schaffen. Wenn du Probleme hast, ruf mich einfach an, okay?«
»Ja Mom, werde ich machen. Ich hab dich lieb.« Doch ich weiß, dass ich sie wegen Problemen nicht anrufen werde. Sie ist nicht der Typ Mutter, der sich die Probleme ihrer Tochter anhört und dann tiefgründig mit ihr darüber debattiert. Meine Mom ist... einfach meine Mom.
»Ich dich auch, Schatz, ich dich auch.«
Ich werde sie wirklich vermissen auch wenn sie vielleicht nicht immer für mich da ist. Wie schon gesagt, sie ist nicht wirklich der Mensch zu dem ich gehe wenn ich reden will, aber sie hat mich großgezogen ohne Hilfe, das ist schon eine ganz schöne Leistung. Wenn sie unbedingt mit Franky weg will soll sie es tun, ich werde ihr sicher nicht im Weg stehen, aber dann soll sie mir das nächste Mal nicht kommen mit »Süße, ich hab für dich gesorgt, da kannst du ja wohl mal den Einkauf machen!«, oder so was in der Art - das ist Erpressung.
Sie drückt mir noch einen letzten flüchtigen Kuss auf die Stirn, dann angelt sie ihre Tasche vom Haken und verlässt die Wohnung. Noch schlimmer ist aber - sie verlässt mich.
Ich gehe aus der Küche raus, nehme meinen Rucksack und will gerade die Tür aufmachen, als von hinten eine Stimme ruft: »Viel Spaß bei deinem Vater.«, das war kein Abschiedsgruß von Franky, das war fast ein Jubelruf.
»Auf Wiedersehen, Franky. Es wird schön die nächsten Wochen, dein Gesicht nicht sehen zu müssen.«, rufe ich ihm zu und lasse die Tür hinter mir ins Schloss fallen und habe ein ziemlich mulmiges Gefühl im Bauch.
Das Leben ohne Franky war auf jeden Fall besser. Seit dem er da ist, ist meine Mom wie ein anderer Mensch. Wenn er in der Nähe ist, bin ich egal, doch sobald er wieder weg ist bin ich, angeblich, das Wichtigste in ihrem Leben. Innerlich macht mich das manchmal ziemlich traurig, doch das würde ich ihr niemals sagen.
Meine Mutter ist schon lange nicht mehr der wichtigste Mensch in meinem Leben. Ich müsste lange überlegen, bis ich einen Moment in meinem Leben finden würde, in dem ich ihr meine Gefühle anvertraut habe. Dafür gibt es andere Menschen. Einen anderen Menschen. Tami. Meine beste Freundin. Mein Licht in der Dunkelheit. Meine Rettung während einer langweiligen Unterrichtsstunde. Sie ist das genaue Gegenteil von mir, was es eigentlich perfekt macht. Sie ist immer aufgedreht und wenn ich mit ihr zusammen bin, ist alles irgendwie leichter. Und nicht zu vergessen, dass ihre Mom die besten Pfannkuchen der Welt macht.
Ich erkenne Tami schon von weitem an ihren braun gelockten Haaren, die in alle Richtungen abstehen. Sie wartet auf mich.
»Tami, hey. Es tut mir leid, ich weiß, ich bin zu spät.«
»Nicht so schlimm.«, sagt sie, »Und wie sieht die Laune aus? Endlich Bock auf Griechenland?«
»Nein, ganz bestimmt nicht!«, antworte ich. Ich würde lieber mit ihr und ihren Eltern nach Australien fliegen, dann wäre ich nächstes Schuljahr von Anfang an hier.
»Ach Süße, so schlimm wird es schon nicht werden. Und denk nur an die vielen süßen Griechen, die den ganzen Tag am Strand sind und Oberkörper frei umher laufen.«
»Tami!«, sage ich mürrisch. »Das macht es nicht besser!«
»Für dich vielleicht nicht.« Sie grinst mich an.
 In der U-Bahn ist viel los, wie jeden Morgen. Aber da es heute so warm ist, ist es auch ziemlich stickig. Auf der Suche nach einem Platz der noch nicht von irgendwelchen Leuten, Taschen, Tieren und Sonstigem vollgestellt ist, sehe ich die Berliner- Morgenmuffel, welche sich auf einen Sitz haben fallen lassen und darauf warten, dass ihre Station angesagt wird. Es sind auch viele Kinder in der U-Bahn, die an ihre Eltern gedrängt dastehen und darauf warten, endlich ihr Zeugnis in den Händen zu halten. Andere stehen alleine in einer Ecke, hören Musik und wollen den Tag einfach nur hinter sich bringen. Tami, welche kein Problem damit hat andere Leute wegzudrängen, zieht mich an einen Platz am Fenster.
»Schon wieder so viel los.«, sagt sie als die Bahn sich in Bewegung setzt.
Eine ältere Frau, auf einem der wenigen Sitzplätze, starrt mich an. Was sie sich wohl gerade denkt? Schießt es mir durch den Kopf. Ich habe den Gedanken noch nicht einmal zu Ende gedacht, da hält die Bahn, die alte Frau erhebt sich und steigt aus.
Drei Stationen später verlassen ich und Tami die Bahn und gehen den restlichen Weg zu Fuß bis zur Schule.
    »Guten Morgen Schüler.«, begrüßt uns Frau Martins, als sie ins Klassenzimmer kommt. »Setzt euch, umso schneller sind wir heute fertig und ihr könnt zu eurer Abschlussfeier gehen.«
Die meisten freuen sich schon auf die so genannte "Party", aber wie ich unsere Schule kenne, wird es nur ein Programm in denen die Jüngeren den Älteren etwas vortanzen oder so. Unsere Idee war es ja die Abschlussfeier zu organisieren, aber die wurde strikt abgelehnt, weil wir ja am Ende des Schuljahres so viel zu tun hätten. Aber immerhin besser als irgendwelche Streiche der Lehrer, wie letztes Jahr, die ganz und gar nicht lustig waren. Normalerweise sind die Abschlussfeiern für diejenigen, die die Schule nach der zehnten Klasse verlassen. Umso sinnloser dieses Jahr, da alle im Jahrgang ihr Abitur machen. Ein weiterer Grund diese Peinlichkeit einfach ausfallen zu lassen ist, die so offensichtliche Bemühung der Lehrer (*Sarkasmus-Schild*).
»Katalina Wine!«, (ja, das bin ich) ruft mich die Lehrerin auf, »Lina kommt doch bitte nach Vorn.«
Statt sie die Zeugnisse nicht einfach austeilen, was vielen bestimmt lieber wäre, werden wir jedes Jahr vorgeführt.
»Lina, du hast dich im zweiten Halbjahr verbessert, ich hoffe du bist zufrieden mit deinem Ergebnis. Herzlichen Glückwunsch.«, das typische Geschwafel einer Lehrerin. In der Hinsicht hab ich doch ein wenig von Tami. Ich ziehe gern über Leute her. Ob ich sie leiden kann oder nicht.
Ich gehe wieder zu meinem Platz und lasse mich auf meinen Stuhl fallen. Es vergeht noch eine ganze Stunde, bis alle ihre Zensuren haben. Wir packen unseren Kram zusammen und gehen raus. Die Meisten gehen jetzt schon zum Fest, doch Tami zieht mich zur Seite. »Starbucks?«, fragt sie
»Unbedingt!«
»Auf jeden Fall jetzt einen Kaffee, ich bin gerade fast eingeschlafen. Ich meine ich weiß wie mein Zeugnis ist und die anderen auch.«, meint sie auf dem Weg zur U-Bahn. Ich werde sie die nächsten drei Monate auch nicht sehen. Ich will mir gar nicht vorstellen, wie sehr ich Tami vermissen werde. Ohne sie überlebe ich das Ganze nicht.
»Du meinst wohl, nicht unbedingt gut?«, ich lache, denn jeder weiß das Tami sich nicht viel aus Schule macht und es trotzdem immer schafft einen Durchschnitt von mindestens 2,0 zu machen.
»Es ist nicht schlecht, es ist Durchschnitt. Ich bin nicht so wie du, dass ich für jede Arbeit lerne und immer Einsen und Zweier schreibe. Ich bin eben der typische Durchschnitt.«
»Ich und für jede Arbeit lernen? Ich dachte du kennst mich besser.«
»Früher war es wirklich so, das ist nur mein schlechter Einfluss auf dich.«
Ich muss lachen. Ja, einen schlechten Einfluss hat sie tatsächlich auf mich. Mich zum Trinken bringen und mit ihr die ganze Nacht durch Berlin ziehen, wenn wir eigentlich in Tamis Bett liegen sollten um für die Klassenarbeit zu lernen, die wir am nächsten Tag schreiben.
»Weißt du noch, als wir zum ersten Mal hier waren? Ich glaube wir waren Sechste. Du hast noch keinen Kaffee getrunken und hast dir trotzdem einen bestellt. Den durfte ich dann trinken.«
»Ich wollte ihn trinken! Du hast ihn mir einfach aus der Hand gerissen und gesagt: Ach gib her, du trinkst ihn ja ehy nicht!«, erwidere ich zu meiner Verteidigung.
»Oder als wir mit der Klasse Wandertag gemacht haben, in den Park gegangen sind und du in den Springbrunnen gefallen bist.«
»Tami, hör auf damit. Ich war nun mal ein kleiner Tollpatsch.«
»War, Lina? Du bist immer noch einer und du bist gewachsen!«, bringt sie unter lautem Lachen heraus.
»Ach ja? Und was ist mit dir und deinen Fehltritten? Wer hat dich vor dem Hund gerettet, dem du den Ball geklaut hast, damit wir spielen konnten. Man könnte sagen ich hab dir das Leben gerettet. Oder als du dich in die Disco rein schmuggeln wolltest, die erst ab achtzehn war? Wer hat den Türsteher überredet uns kleine Mädchen einfach laufen zu lassen, auch wenn eine der Beiden den Ausweis der älteren Schwester geklaut hatte?«
»Weißt du was Lina? Du bist ganz schön scheinheilig. Und ich weiß wovon ich rede.«
»Tami, das war nicht lustig, da war mein kleiner Ausrutscher in den Brunnen ein Witz dagegen. Der Typ hatte vor die Polizei zu rufen!«, sage ich und fange an mit lachen. Auch Tami fängt wieder an zu lachen. Wir stehen auf und gehen in den Park spazieren. An demselben Brunnen wie damals setzten wir uns und planschen ein wenig mit den Beinen im Wasser.
»Kannst du dich daran erinnern als wir mit Frau Martins unseren ersten Ausflug gemacht haben?«, frage ich Tami.
»Ja klar. Da hat es auf einmal angefangen mit regnen und alle außer ihr hatten einen Schirm dabei. Da hat sie ihr Lehrbuch raus genommen und es sich über den Kopf gehalten und sich ein bisschen von uns entfernt, an den Straßenrand gesetzt. Da kam auf einmal ein Typ vorbei und hat ihr Geld hingelegt, weil er dachte sie sei Obdachlos.«
Wir lachen beide so sehr und vergessen die Zeit, so dass wir erst um zehn zu unserer Abschlussfeier kommen. Alle sitzen sie schon auf ihren Plätzen und starren uns an.
»Tami beeil' dich und bleib nicht noch stehen.«, sage ich zu ihr, weil es mir peinlich ist von allen angestarrt zu werden.
Wir setzen uns auf die letzten freien Plätze und hören uns an was unsere Klassenlehrerin zu sagen hat. Die ganze Zeit könnte ich einschlafen vor Langeweile. Wie schon erwartet tanzen die Jüngeren uns etwas vor und machen ein paar Späße mit uns. Bei einem Spiel wollen sie Freiwillige auf die Bühne holen und ich verstecke mich, damit sie ja nicht auf die Idee kommen mich zu nehmen. Stattdessen muss unsere Wasserstoffblondine Tessa mitspielen.
Als es zu Ende ist, gehen ich und Tami zusammen zum Parkplatz, wo mein Taxi stehen soll. Wo es auch steht. Und zwar genau vor der Schule, wie peinlich!
»Hey Süße, Kopf hoch. So schlimm wird es schon nicht werden.«, ermutigt Tami mich.
»Du kennst meinen Vater nicht. Oh Tami, ich werde dich so vermissen.«
»Und ich dich erst! Na komm, wir schaffen das schon.«, sagt sie.
»Tami du hast es gut, du fliegst drei Wochen mit deinen Eltern nach Australien. Ich muss dort zur Schule gehen. Mit Jessica!!!«
»Deine Stiefschwester wird schon lieb zu dir sein. Und Australien soll gar nicht so schön sein, habe ich gehört«
Sie ist so süß. Wir wissen beide wie schön es in Australien ist. Tami von ihren jährlichen Ausflügen und ich von den Bildern, die sie immer mitbringt.
Sie umarmt mich und ich will sie gar nicht mehr los lassen. Am liebsten, würde ich sie mitnehmen.
»Schreib mir, okay?«, sagt sie noch.
»Natürlich.«, erwidere ich und schniefe die Tränen weg.
»Mach's gut, Lina. Wir sehen uns in drei Monaten wieder.« Sie lässt mich los und schiebt mich zum Taxi. Ich steige ein.
»Guten Tag.«, sage ich zu dem Fahrer vor mir. Er begrüßt mich ebenfalls. Ich schaue aus dem Fenster und sehe Tami die Straße entlang laufen. Meine Tami. Wenn ich sie das nächste Mal sehe muss ich ihr sagen wie sehr ich mich jetzt schon darauf freue sie wieder zu sehen.  Ich sehe ihr braunes Haar mit jedem Schritt mit wippen. Ach Tami. Meine Tami, Ich werde sie höllisch vermissen.

Der Weg zum Flughafen ist nicht sehr interessant. Ich bin sehr leise und was soll ich auch sagen. Ich meine wer spricht schon aus Langeweile mit den Taxifahrer. Er lässt mich am Flughafen raus und holt mein Gepäck aus dem Kofferraum. In Tegel kenne ich mich eigentlich ziemlich gut aus, denn bevor Franky gekommen ist, sind meine Mutter und ich jeden Sommer wo anders hin geflogen. Wir haben immer das ganze Jahr lang gespart, um uns einen schönen Urlaub, irgendwo in der Ferne zu machen. Na ja die Zeiten sind vorbei, vor allem wenn Franky vor hat länger bei uns zu wohnen.
   Vom Check-In mache ich mich mit nichts als einer Tasche auf den Weg zum Terminal. Mein Flug geht in zwanzig Minuten und das Boarding hat bereits begonnen, weshalb ich mich beeilen muss. Ich hasse es spät dran zu sein, das gibt mir das Gefühl, dass das Flugzeug ohne mich fliegt, was in dem Fall wahrscheinlich gar nicht so schlecht wäre. Tegel ist groß und einmal habe ich mich verlaufen, bis ich dann meine Mom gefunden hatte, war das Flugzeug fast weg. Als letztes steige ich in die Maschine und lasse mich auf einen Platz am Fenster fallen. Neben mir sitzt nur ein kleiner Junge, der mir jetzt schon mit seinem komischen Spielzeug auf die Nerven geht. Ich hatte eigentlich vor zu schlafen, und bin leicht gereizt, was wahrscheinlich mehr an dem Gedanken, zum meinem Vater zu fliegen, liegt, als an der Tatsache, dass ich übermüdet bin. Ich lehne mich mit dem Kopf an die Scheibe und bin in Gedanke schon bei meinem Vater. Ich habe ein wenig Angst, die ganzen Leute da kenne ich überhaupt nicht und wahrscheinlich sind sie alle mit Jessica im Bunde und werden mir das Leben zur Hölle machen, wobei sie sich keine Mühe geben brauchen.
Wenn ich eines nicht leiden kann dann sind es kleine Kinder die neben mir Faxen machen, während ich schlafen will. Das zweite Mal bin ich jetzt schon wegen ihm aufgewacht und wir sind noch nicht mal eine Stunde in der Luft.
»Kannst du vielleicht mal leise sein??«, frage ich ihn, mit ein bisschen zu viel Wut in der Stimme. Er guckt mich verständnislos an.
»Ehm … leise sein? Mund zu?«, versuche ich ihm beizubringen, aber er versteht anscheinend immer noch nicht.
»Man oh Man, so schwer kann das ja wohl nicht sein. Tha boroúsate sas parakaló̱ na eínai í̱sycho!«, sage ich auf Griechisch, weil ich nicht weiß wie ich es sonst versuchen soll.
Der Junge wird leise und sagt dann so was wie »Willst du schlafen, dann bin ich leise.«
»Naí. Ich will schlafen.«, sage ich und lege mich wieder mit der Stirn ans Fenster. Der Junge wird leiser und ich schlafe ein.
Die Wolken unter mir sehen aus wie ein Meer, so wie noch der Himmel heute Morgen, nur weiß. Die Sonne wirft ihr Licht auf die Wolken und färbt sie in leichten Rosa- und Orangetönen. Als ich dann vorhin aufgewacht bin, waren wir schon im Landeanflug.

Ich steige aus dem Flugzeug und spüre gleich die unangenehme feucht-warme Luft, die mir ins Gesicht schlägt. Vom Rollfeld fährt uns ein Bus zum Ausgang, wo wir unser Gepäck holen müssen. Ich stelle mich weit vorne hin und warte darauf, dass meine Koffer erscheinen. Einer nach dem anderen tauchen sie auf. Ich versuche sie alle mit einmal weg zu bekommen, schaffe es aber nicht. Der Stand mit den Wagen für die Koffer ist nur ein paar Meter entfernt und bis dahin schaffe ich es. Der kleine Junge der neben mir gesessen hat. Steht bei den Koffern und winkt jemandem zu. Ich drehe mich um, um zu sehen wem er winkt, da bemerke ich, dass er mich meint. Schnell hebe ich die Hand, um auch ihm zu Winken. Der oberste Koffer fällt mir auf den Fuß und ich unterdrücke einen Schmerzenslaut. Tolle Ankunft, denke ich mir. Und mache mich auf den Weg zur Glastür, hinter der irgendwo mein Vater stehen muss. Die Schiebetür öffnet sich und ein Meer aus Menschen steht da und erwartet uns. Ich suche die Menge ab. Suche das vertraute Gesicht. Ich schiebe meinen Wagen vor mir her, auf die Absperrung zu. Irgendwo in der Masse erkenne ich ihn. Mit den braun gelockten, kurzen Haaren und denselben schwarzen Augen wie ich sie habe und wie es so typisch für Griechen ist. 

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